Rainer Lutz

Rainer LutzSchon in frühen Jahren lehrte mich meine Großmutter väterlicherseits, wie gut frisches und selbstgebackenes Brot mit Butter und ggf. mit Apfelgelee schmeckt. Ich hatte das Glück auf dem Lande aufzuwachsen und meine Sinne auf der Dorfgasse, in der Scheune oder auf dem Feld zu schärfen. Ich hatte kein Verlusterlebnis eines zu kleinen Sandkastens. Diese Frühkindliche Prägung war später (1983) eine wesentliche Quelle zur Entwicklung des Therapieprogramms „Kleine Schule des Genießens“: Es fördert die sinnliche Wahrnehmung und vermittelt, dass Genuss erlaubt ist.

Eine ebenso nachhaltige Prägung erfuhr ich durch den Bücherschrank meines Großvaters mütterlicherseits, in dem ich Bilderbücher wie die von Plauen (Vater und Sohn) oder Wilhelm Busch fand. So kommt es, dass meine Power Point Vorträge zu den Themen Euthyme Therapie und Genuss (seit ca. 1990) reich bebildert sind. Manchmal befürchte ich, dass mir das mehr Spaß macht als meinen ZuhörerInnen.

Ich ging ordentlich zur Schule und konnte nach dem Studium in Mainz, Frankfurt und Bochum nicht ordentlich Verhaltenstherapie lernen, weil es keine geregelte Aus- bzw. Weiterbildung gab. Ich suchte seit 1970 mein Wissen bei bekannten Verhaltenstherapeuten wie Fred Kanfer (Champaign, USA) oder Ron Ramsay (Amsterdam, Holland) oder Dieter Kallinke (Heidelberg) oder Dieter Schwarz (Landsberg) so lange zusammen, bis ich 1973 vom Fachverband für Klinische Verhaltenstherapie (FKV) als einer der ersten Verhaltenstherapeuten und Supervisoren anerkannt wurde. Im Weiterbildungsausschuss des FKV arbeitete ich mit an der Entwicklung von VT-Curricula.

Die Effekte der „Kleinen Schule des Genießens“ konnte ich anfangs in empirischen Studien nicht belegen. Aber: Depressive Patienten waren während der oder nach den Gruppensitzungen sichtlich gelöster und aufgeschlossener, erinnerten positive Begebenheiten aus ihrer Vergangenheit, lachten in der Therapiestunde und strahlten auf dem Weg zur nächsten Anwendung. Ich vertraute nicht auf die Empirie der Studien sondern auf die Empirie der Klinischen Beobachtung. Die Diskrepanz zwischen den Studienergebnissen und den Beobachtungen musste an den verwendeten Fragebogen liegen, die allesamt damals populär waren und viel verwendet wurden (zu meinem Erschrecken werden sie auch heute noch eingesetzt!). Das führte zu jahrelangem Tüfteln an den Formulierungen von Fragen, Antwortvorgaben und Fragebogenkonstruktionen. Dieses eher trockene und mühsame diagnostische Grundlagenthema zum Itemformat hatte für mich auch etwas Gutes, es führte zur Promotion zum Dr. rer. nat.. Die Antwort ist simpel. Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten zu fragen, nämlich Fragen nach Verhalten und Fragen nach Einstellungen. Verhalten, auch Symptom nahes Verhalten können Patienten vergleichsweise schnell, eine günstigere Selbstbewertung dagegen können Patienten nur langsam und verzögert verändern. Untersucher können also die Effektstärke „Ihrer“ Intervention durch die Wahl des Untersuchungsinstrumentes vorher bestimmen. Manche der vergleichenden Therapiestudien sind daher als Artefakte der verwendeten Fragebogen zu werten.
Da ich nun wusste, wie ich fragen muss, kann ich vermelden, dass auch die „Kleine Schule“ eine hoch wirksame Therapiemethode ist.

Heute lebe ich wieder auf dem Dorf, pflege meinen Kräutergarten und entwickele weiterhin euthyme Interventionstechniken. In verschiedenen Ausbildungseinrichtungen gebe ich diese an angehende Therapeuten und Therapeutinnen weiter. Ich bin weiterhin in Selbsterfahrungsgruppen, Seminare zu Entspannung, Supervision, Vorträge etc. eingespannt. Zum Trost für alle, die schon mit 30 ihr Rentendasein planen: Es ist gar nicht langweilig.

Veröffentlichungen von Rainer Lutz (PDF)


Workshop/ Vortrag von Rainer Lutz:

Vortrag V3: Wer bewegt wen in der Psychotherapie?

In einer erfolgreichen Therapie bewegt sich der Patient. Er, und nicht der Therapeut, „arbeitet“. Es gibt Ausnahmen von dieser Regel.
Der Therapeut sieht sich und seine Methode als den Beweger; Asay & Lambert dagegen finden nur 15-30 % der Verbesserungsvarianz, die spezifischen Methoden zugeschrieben werden kann; der allergrößte Anteil ist dem Patienten zuzuschreiben. Der „Held“ der Therapie ist daher der Patient und nicht der Therapeut (Bohart & Trollheimer).
Patienten sollen sich möglichst weit weg von ihrem Ausgangspunkt bewegen; nach Grawe soll die Veränderung eine Standartabweichung (d = 1) betragen. Dies ist nur mit verhaltens-nahen Maßen zu erreichen, die von Verhaltenstherapeuten eingesetzt werden. Person-nahe Maße erzielen wesentlich geringere Effektstärken. Sie werden bevorzugt in der tiefenpsychologisch begründeten Therapieforschung verwendet. Der Methodenstreit, wer die beste Therapie anbietet, ist aus dieser Sicht müßig.
Die Therapiemethode bewegt den Patienten. Dem stehen Hinweise entgegen, dass Therapeuten von ihrer Therapie mehr verändert werden als ihre Patienten.

Literatur zur Veranstaltung:
Hubble, A.; Duncan, B. L.; Miller, S. D. (2001). So wirkt Psychotherapie. Verlag modernes Leben.
Lambert, M. J. (2010). Kann man „gute“ und „schlechte“ Therapeuten schulenübergreifend an ihren Ergebnissen erkennen? PiD - Psychotherapie im Dialog, Ausgabe 01,11: Integration in der Psychotherapie.
Lutz, R. (2008). Gesundheit und Genuss: Euthyme Grundlagen der Verhaltenstherapie. In J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie 1: Grundlagen und Verfahren (S. 238-243). Heidelberg: Springer, 3. Auflage.
Margraf, J.; Siegrist, J.; Neumer, S. (Hrsg.) (1998): Gesundheits- oder Krankheitstheorie? Saluto- versus pathogenetische Ansätze im Gesundheitswesen. Heidelberg: Springer Verlag.

Skript zum Vortrag (PDF)

30.10.2011
8:30 Uhr – 9:15 Uhr